Am Sonntag, den 4. Dezember findet in Italien eine Volksabstimmung über eine Änderung der Verfassung statt. Das ist vor allem deshalb relevant, weil im Fall einer Ablehnung die politische Unsicherheit ansteigen würde.
Gegenseitige Blockade
Bei der Volksabstimmung geht es im Prinzip um erstens eine Zentralisierung (=Schwächung der Regionen) und zweitens um eine Erleichterung für die Beschlussfassung von Gesetzen im Parlament (=Schwächung des Senats, der zum Unterhaus gleichberechtigt ist). Damit soll die gegenseitige Blockade der politischen Institutionen abgebaut werden.
Negative volkswirtschaftliche Entwicklung
Die Motivation für die Verfassungsänderung kann mit der schlechten volkswirtschaftlichen Entwicklung erklärt werden, die die Notwendigkeit von Strukturreformen erhöht hat. Das Bruttoinlandsprodukt stagniert seit 2008, die Staatsschulden sind hoch (133% der Wirtschaftsleistung), ebenso wie die Arbeitslosenrate (11,5%) und der Anteil der not leidenden Kredite am Gesamtkreditvolumen (16%). In diesem Umfeld ist es wenig verwunderlich, dass italienische Bankaktien seit Juli 2016 um mehr als 50% eingebrochen sind, und der Renditeaufschlag der italienischen auf die deutschen Staatsanleihen mit einer Laufzeit von zehn Jahren bei aktuell 1,7 Prozentpunkten auf ein Zwei-Jahres-Hoch angestiegen ist. Der gegenseitige Blockade, der Unwille für Reformen sowie die Unmöglichkeit einer Währungsabwertung erhöhen den Druck für eine „interne“ Abwertung. Das heißt, der Druck für fallende Preise nimmt zu. Tatsächlich hat die Konsumentenpreisinflation, genauer die Kernrate ohne die schwankungsfreudigen Teile wie Energie und Nahrungsmittel, im Oktober einen neuen Tiefstand von nur noch 0,2% im Jahresabstand erreicht.
Anti-Establishment
Die Wahlen finden vor dem Hintergrund des weltweiten Aufschwungs der Anti-Establishment Bewegung statt. Könnte nach dem Brexit-Referendum und den Wahlsieg von Donald Trump das Anti-Lager die dritte wichtige Wahl in diesem Jahr gewinnen? Die Umfragen deuten auf ein Kopf-an-Kopf Rennen, wobei zuletzt das Nein-Lager leicht in Führung gelegen ist. Die Besonderheit der Abstimmung in Italien ist, dass Premier Renzi für Reformen eintritt. Aber er ist gleichzeitig auch für die EU, ein Vertreter des Establishments und verspricht keine leichten Lösungen.
Zwei Sicherheitsnetzte
Für den Fall eines „Runs“ auf Bankaktien und Staatsanleihen bestehen im Prinzip zwei Fangnetzte zur Verfügung. Erstens: Wenn die Finanzstabilität in einem Land gefährdet ist, darf der Staat den Banken Finanzhilfe gewähren. Zweitens: Die Europäische Zentralbank könnte das OMT-Programm (Outright Monetary Transactions) aktivieren und italienische Staatsanleihen kaufen. Das Kaufvolumen ist theoretische unbegrenzt aber an Auflagen geknüpft. Zudem wäre die Aktivierung wahrscheinlich mit politischem Widerstand von anderen Staaten konfrontiert. Auf kurze Sicht könnte die Europäische Zentralbank den Kaufschlüssel im aktuellen Anleiheankaufsprogramm zugunsten von Italien ändern.
Ablehnung der Verfassungsänderung
Für diesen Fall hat Premierminister Matteo Renzi seinen Rückzug angekündigt. Die Folge wäre naturgemäß eine Regierungsumbildung. Die Dynamik für Reformen würde abnehmen, der Status Quo eine Fortsetzung finden. Immerhin hat es seit 1945 bereits 65 Regierungen gegeben. Die dringenden Aufgaben, vor allem die Sanierung des Bankensektors, würden im Vordergrund stehen. Eine nachhaltige Verbesserung des makroökonomischen Umfelds würde jedoch nicht absehbar sein. Der Eindruck von Reformunfähigkeit und Reformunwilligkeit in Italien wäre bestätigt; Ebenso wie die eingetrübte Fantasie, wie die Eurozone langfristig ohne Reformen in Italien überleben wird können.
Sollte es in weiterer Folge zu vorgezogenen Neuwahlen kommen, bestünde das Risiko für den Einzug einer Anti-EU Partei in die Regierung. Aber auch ohne Neuwahlen bestünden Überwälzungseffekte auf die EU. Denn ein „Nein“ würde auch als Stärkung des Anti-EU Lagers interpretiert werden.
Annahme der Verfassungsänderung
Natürlich wären die Probleme nicht gelöst. Renzi wäre aber gestärkt und könnte seine Reformvorhaben leichter umsetzten. Darüber hinaus würden die zentrifugalen Kräfte in der EU nicht gestärkt werden. Ein „Aufatmen“ könnte, zumindest auf kurze Sicht, zu einer Einengung der Renditeaufschläge und zu steigenden Bankaktien führen.