Ein neuer Begriff macht die Runden: „Quartalskapitalismus”. Darin steht “Quartal “ nicht einfach für einen Zeitabschnitt, sondern für “kurzfristig, kurzsichtig, gierig und dysfunktional”. Erfunden wurde der Begriff schon vor vier Jahren von Dominic Barton (McKinsey) und wurde alsbald von Al Gore, Prinz Charles und anderen Wirtschaftsexperten herangezogen, um grundlegende Reformen der Geschäftspraktiken von Unternehmen und Fondsmanagern zu fordern. Nun hat der Begriff neue Prominenz erreicht, nachdem Hillary Clinton kürzlich “die Tyrannei der nächsten Gewinnverlautbarung ” dafür verantwortlich machte, dass Unternehmen “zu wenig Beachtung auf die Quellen langfristigen Wachstums legen: Forschung und Entwicklung, Sachkapital und Talente“. Nicht ganz überraschend sieht die vielleicht nächste US-Präsidentin das Heil in höheren Steuern und mehr Regulierung.
Die Diskussion der Vor- und Nachteile des kapitalistischen Wirtschaftssystems stellen wohl ein zu großes Thema für diesen Blog-Beitrag dar, aber angesichts der Bedeutung der Debatte sind einige Anmerkungen angebracht.
Langfristig gut, kurzfristig böse?
Erstens: Die Attacke auf den sogenannten „Quartalskapitalismus“ geht von der unbewiesenen Prämisse aus, dass Langfristigkeit jedenfalls gut ist, kurzfristiges Agieren hingegen schlecht. Diese Sichtweise ist nicht korrekt: Ob Entscheidungen auf kurze oder lange Frist getroffen bzw. mehr oder weniger häufig revidiert werden, sagt nichts darüber aus, ob sie richtig oder falsch sind. Natürlich ist es unwahrscheinlich, dass aus erratischer Hyperaktivität und laufend wechselnden Geschäftsmodellen ein langfristig stabiles, gewinnbringendes Unternehmen entsteht. Aber genau sowenig wird eine langfristige, aber leider falsche Strategie zum Ziel führen.
Zweitens: Die empirische Evidenz in dieser Sache ist gemischt. Natürlich kennt jeder Geschichten von langfristig angelegten Erfolgsgeschichten. Aber genauso leicht ist es, Fälle gescheiterter Langfriststrategien aufzuzählen. Larry Summers, durchaus ein Sympathisant der Kritiker des Quartalskapitalismus, verweist auf General Motors, ein Unternehmen, das lange Zeit als Paradebeispiel langfristiger Unternehmensstrategien galt – bevor es von der US-Regierung gerettet werden musste.
Tatsächlich gibt es Evidenz, dass börsennotierte Technologieunternehmen weniger innovativ sind als nicht-notierte Vergleichsunternehmen. Aber diese Unterschiede sagen wahrscheinlich mehr darüber aus, zu welchem Zeitpunkt in ihrer Entwicklung Unternehmen an die Börse gehen, als über die negativen Folgen einer Börsennotierung. Es gibt ferner Evidenz, dass nicht notierte Unternehmen mehr investieren und eher Langfriststrategien verfolgen als Börseunternehmen – aber dennoch fehlt eine Erklärung, warum die meisten Wirtschaftssektoren von börsenotierten Unternehmen dominiert werden.
Drittens: Die negativen Effekte von Investorendruck auf das Unternehmensmanagement werden meist überschätzt, während die negativen Folgen fehlender Kontrolle ignoriert werden. Larry Summers weist etwa auf die wenig überzeugende Performance des japanischen Systems wechselseitiger Aktionärsverflechtungen zum Schutz des Managements vor Aktionärsdruck hin. Und jeder österreichische Steuerbürger kann sich noch an die von Aktionärsdruck weitgehend befreite Verstaatlichte Industrie erinnern, die Milliarden verbrannte, bevor sie in den 90er Jahren privatisiert wurde.
Viertens: Die Kurzfristorientierung der Investoren und ihre angebliche Gier nach Dividenden werden generell übertrieben gesehen. Biotechnologie etwa war in den letzten Jahren einer der stärksten Sektoren an der Börse – trotz einer bescheidenen Dividendenrendite von unter einem halben Prozent und einer Gewinnrendite von 2%. Oder Amazon: das Unternehmen wurde beschrieben als “eine von einigen Investoren zum Nutzen der Konsumenten betriebene Wohlfahrtsorganisation” und hat bis heute mangels Gewinne kein Geld an Aktionäre ausbezahlt, seine Marktkapitalisierung liegt jedoch bei 245 Mrd. US-Dollar. Tatsächlich unterstützen Investoren gelistete Unternehmen oft lange trotz des Fehlens unmittelbarer Gewinne und Ausschüttungen. Nicht selten sind es die gleichen Kommentatoren, die über die Kurzfristigkeit des Marktes jammern, die bei anderer Gelegenheit die nächste Aktienblase heraufbeschwören, weil massiv in Unternehmen ohne Gewinne, Cashflows oder Dividenden investiert wird.
Fünftens: Was die negative Korrelation zwischen Unternehmensinvestitionen und Ausschüttungen an Aktionäre betrifft, ist die Richtung der Kausalität umstritten. Es wird vielfach darauf hingewiesen, dass “ein Mangel an profitablen Investitionsmöglichkeiten die Zahlungen an Aktionäre auslöst.” Vor allem US-Ökonomen befürchten die Gefahr einer langfristigen Stagnation und einen weiteren Rückgang des Produktivitätswachstums. Unternehmen sehen offenbar wenige Investitionschancen in einer überregulierten, gesättigten US-Wirtschaft und gleichzeitig der frühere Wachstumsmotor der Schwellenmärkte stottert. Daher ist es nicht überraschend, dass Geld an Aktionäre retourniert wird, statt es in Expansionsprojekten mit mediokren Ertragsaussichten zu stecken.
Sechstens: Der Angriff auf die Quartalberichterstattung, der oft mit den Klagen über die angebliche Kurzfristigkeit der Finanzmärkte einhergeht, überzeugt nicht. Die Funktion der begleitenden Berichterstattung für den Einblick ins Unternehmensgeschehen wird nicht erkannt, die Gefahren einer erhöhten Volatilität und eines potenziellen Insiderhandels infolge seltenerer Berichterstattung werden unterschätzt. Vor allem können die Kritiker der Quartalsberichterstattung nicht beantworten, weswegen das Management laufend mehr Informationen, oft Hochfrequenzdaten, über die Geschäfts- und Finanzlage des Unternehmens sammeln, während die Informationsweitergabe an die Aktionäre seltener erfolgen soll.
Schließlich sind die mit der gutgemeinten Kritik an der Kurzfristigkeit der Finanzmärkte verbundenen Angriffe auf den Wertpapierhandel wie in Hillary Clintons kürzlichen Auftritten selbst, nun ja, kurzsichtig. Wie Sebastian Mallaby jüngst ausführte, machen kurzfristige Aktientrader Geld damit, dass „Preise nach Schwankungen auf ein vertretbares Niveau zurückführen, etwa wenn ein (großer) Staatsfonds verkauft. Diese stabilisierende Funktion hilft den anderen Marktteilnehmern, einschließlich langfristigen Investoren, damit sie einen fairen Preis bekommen, sollten sie verkaufen“. Es ist auch erwähnenswert, dass ein wesentlicher Teil des Handels von Fondsmanagern dadurch verursacht wird, dass sie die laufende Einhaltung von regulatorischen Grenzen nach Zu- und Abflüssen sowie Marktbewegungen sicherstellen müssen.
Richtige Balance zwischen kurz- und langfristigen Investoren erforderlich
Es steht außer Frage, dass es anstrebenswert ist, über lange Zeit das Richtige zu tun – im privaten Leben ebenso wie im Geschäftsleben. Allerdings gibt es – wie in einem Research-Report der Credit Suisse („A Long Look at Short Termism“) kürzlich ausführte, zumindest im Geschäftsleben gute Gründen dafür, dass die Zeithorizonte kürzer werden, wie etwa die technisch bedingte kürzere Lebensdauer vieler Anlagegüter.
Im Aktien-Team der Erste Asset Management ist es unser Ziel, in Unternehmen zu investieren, die eine solide und erfolgreiche Langfriststrategie verfolgen. Wir versuchen, uns von kurzfristiger Markvolatilität und dem gelegentlichen Lärm, der rund um Quartalsergebnisse entsteht, nicht beindrucken zu lassen. Und wir verstehen den berühmten Spruch Warren Buffets, dass seine „bevorzugte Halteperiode ‚für immer‘ ist“. Aber wir wissen auch, dass sich a) die fundamentalen Rahmenbedingungen von Unternehmen oft ändern, b) unsere Kunden entscheiden, uns mehr oder weniger Geld zum Managen überlassen, und c) unsere Analysen der langfristen Aussichten eines Unternehmen – ja, auch das kommt vor – nicht voll zutreffen. Es gibt daher auch für langfristig orientierte Investoren Unternehmen gute Gründe, an den Märkten zu handeln. Die Präsenz von kurzfristig Wertpapierhändlern und –investoren ist dann durchaus hilfreich, neue Steuern und Regularien hingegen nicht.