War die Entscheidung für den Ausstieg des Vereinigten Königreiches (UK) aus der Europäischen Union ein Non-Event? Global betrachtet sind die Aktienkurse angestiegen, die Renditeaufschläge für das Kreditrisiko sind auf vielen Märkten gefallen und die Zentralbank im UK, die Bank of England, hat den Leitzinssatz nicht gesenkt.
Gutes Wachstum
Auf globaler Ebene deuten die Wirtschaftsindikatoren weiterhin auf ein reales Wirtschaftswachstum zwischen 2% und 2,5% hin. Historische betrachtet liegt das Wachstum zwar unter dem Durchschnitt. Betrachtet man allerdings die nachteiligen Entwicklungen wie fallendes Produktivitätswachstum, Überalterung der Bevölkerung, schwacher Welthandel und Schuldenabbaudruck kann diese Bandbreite sogar als gut bezeichnet werden.
Positive Datenüberraschungen
Der vorläufige globale Einkaufsmanagerindizes für den Servicesektor ist im Juli zwar gefallen, dafür ist jener für den Fertigungssektor angestiegen. Zudem ist bemerkenswert, dass die Datenüberraschungen in den Industriestaaten mehrheitlich positiv sind. D.h., die tatsächlichen Wachstumsraten von Indikatoren wie Einzelhandelsumsätze, Industrieproduktion und Beschäftigung übertreffen die Schätzungen. Darüber hinaus deuten die Wirtschaftsindikatoren in China darauf hin, dass der Stimulus ausreichend für eine Stabilisierung des Wirtschaftswachstums bei 6,5% war. Das Wirtschaftswachstum in der Eurozone hat sich zwar von 2,4% im ersten Quartal abgeschwächt. Mit 1,2% lag das Wachstum aber immer noch über dem Potential (langfristiger zu erwartender Durchschnitt). Das niedrige aber dennoch vorhandene Kreditwachstum von rund 2% im Jahresabstand deutet auf eine Stabilisierung des Wachstums am Potenzial hin. Die US-Wirtschaft hat sich im 2. Quartal mit einem Wachstum von 1,2% nach dem schwachen 1. Quartal (0,8%) nicht signifikant erholt. Das solide Wachstum des privaten Konsums in Kombination mit dem vorgesetzten Lagerabbau deutet aber auf ein etwas höheres Wachstum im dritten Quartal hin. Die schrumpfende Investitionstätigkeit bleibt zugegebenermaßen eine Schwachstelle.
Brexit-Auswirkungen regional begrenzt
Die unmittelbaren wirtschaftlichen Auswirkungen sind regional begrenzt. Im UK sind einige Umfrageindikatoren für den Monat Juli kräftig gefallen. Das deutet auf eine deutliche Abschwächung des realen Wirtschaftswachstums von noch 2,4% im 2. Quartal (im Quartalsabstand, auf das Jahr hochgerechnet) in Richtung Null Prozent im aktuellen, dritten Quartal. Aber selbst im UK deutet nicht alles nach Süden. Das Lloyds Bank Business Barometer ist im Juli nach einem kräftigen Einbruch im Vormonat angestiegen und befindet sich nur noch leicht unter dem langfristigen Durchschnitt. In der EU haben sich die Befürchtungen, dass sich die Stimmung in der EU eintrüben könnte nicht bewahrheitet. Der Juli-Wert zum Wirtschaftsvertrauen in der EU ist sogar mehrheitlich angestiegen.
Ende der Austerität
Das Brexit-Votum ist Teil der zunehmenden Anti-Establishment Bewegung auf globaler Ebene. Im Grund geht es um Abschottung im Gegensatz zu Offenheit. In der EU bedeutet das eine Zunahme der Zentrifugalkräfte. Hinsichtlich der EU-Politik verschiebt sich dadurch die Balance von Moral Hazard Bedenken auf der einen Seite zugunsten von Maßnahmen zur Unterstützung der Wirtschaft auf der anderen Seite. Die Europäische Kommission hat bereits bekannt gegeben, Portugal und Spanien nicht mit Geldstrafen zu belegen, obwohl das Budgetdefizit zu hoch war. Ähnliches gilt für die Fiskalpolitik generell. Je mehr die Geldpolitik an ihre Grenzen stößt, desto eher wird die Sparpolitik ein Ende finden.
Not leidende Kredite in Italien
Aktuell blicken die Investoren auf das hohe Ausmaß der Not leidenden Kredite und den niedrigen Eigenkapitalpolster in Italien. Staatshilfen sind nur dann erlaubt, wenn zuvor der private Sektor einen Teil der Verluste mitträgt. Das klingt vernünftig, die italienischen Bankanleihen werden allerdings nicht nur von Kapitalsammelstellen wie Pensionskassen und Versicherungen sondern auch von „kleinen“ Sparern gehalten. Die Wahrscheinlichkeit für eine pragmatische Lösung hat zugenommen.
Geldpolitik weiterhin wirkungsvoll
Die Effektivität der Geldpolitik hat zwar abgenommen, sie ist aber nicht null. Als Reaktion auf die angestiegene Unsicherheit nach dem Brexit-Votum haben viele wichtige Zentralbanken Signale ausgesendet, nötigenfalls die geldpolitische Haltung zu lockern. In weiterer Folge sind die in den Anleihekursen einpreisten zukünftigen Geldmarktzinsen gefallen. Ohne eine tatsächliche Maßnahme, lediglich mit diesen Aussagen, wurden die Märkte damit unterstützt. Die Zentralbanken haben also noch etwas Pulver, das nicht vorschnell „verschossen“ worden ist.
Leitzinssenkung im UK
Für die nächste geldpolitische Sitzung am 4. August hat die Bank of England die Erwartungen für eine tatsächliche Lockerung geschürt. Zumindest eine Leitzinssenkung von aktuell 0,5% ist eingepreist.
Schritt Richtung Helikoptergeld in Japan
Die japanische Zentralbank hat am 29. Juli gemeint, es bestehe eine beträchtliche Unsicherheit hinsichtlich der Inflationsentwicklung. Bis zum nächsten Treffen des geldpolitischen Komitees im September soll eine umfassende Einschätzung der Lage stattfinden. Tatsächlich entfernt sich die Inflation in Japan immer weiter vom Inflationsziel von 2%. Im Juni betrug die Inflationsrate ohne Nahrungsmittel und Energie, also die Kerninflationsrate nur noch 0,4% im Jahresabstand. Die Wahrscheinlichkeit für eine weitere Lockerung hinsichtlich der Qualität und Quantität der Wertpapieraufkäufe hat zugenommen. Gleichzeit wird in naher Zukunft ein zusätzliches Fiskalpaket in Japan bekannt gegeben werden. De facto würde das einen weiteren Schritt in Richtung Helikoptergeld (Zentralbank finanziert permanent das Budgetdefizit) bedeuten.
Fed bleibt abwartend
Die US-amerikanische Zentralbank hat eine abwartende Haltung eingenommen und dadurch die Märkte unterstützt. Am 27. Juli hat sie jedoch gemeint, dass die kurzfristigen Risiken für den wirtschaftlichen Ausblick abgenommen haben. Die Neigung bzw. Aussicht für eine Leitzinsanhebung noch in diesem Jahr bleibt. Dieser Schritt ist zurzeit eingepreist.
Erhöhte politische Risiken
Das politische und geopolitische Risiko bleibt erhöht. Von den zunehmenden Spannungen im südchinesischen Meer über das Referendum über eine Verfassungsänderung in Italien im Herbst bis zu den Präsidentschaftswahlen in den USA im November wird die politische Unsicherheit ein wichtiger Einflussfaktor für die Märkte und die Wirtschaftspolitik bleiben.
Zusammenfassung und Schlussfolgerung:
- Die Frühindikatoren deuten auf eine Fortsetzung des realen globalen Wachstums zwischen 2% und 2,5% hin.
- Die Zentralbanken haben auf die erhöhte Brexit-Unsicherheit mit einer abwartenden Haltung bzw. expansiven Signalen reagiert.
- Die Finanzmärkte haben die erhöhte Unsicherheit gut verdaut.
- Diese Kombination ist auf kurze Sicht (weiterhin) positiv für risikobehaftete Wertpapiere, insbesondere hinsichtlich dem Kreditrisiko (Unternehmen, Staat, Schwellenländer).
- Eine Nachlässigkeit gegenüber den Risiken ist nicht geboten. Nur zwei davon: Die Rohstoffpreise, insbesondere Öl, fallen seit Anfang Juli und die Erwartungen für Leitzinsanhebungen in den USA könnten zunehmen.