Wir müssen uns an ein Umfeld erhöhter Volatilität gewöhnen, hat der Chef der Europäischen Zentralbank im Frühjahr dieses Jahres gemeint. Tatsächlich hat sich das Marktumfeld geändert. Die Jahre 2009 bis 2014 können mit dem Regime „Asset Price Reflation“ beschrieben werden: Hohe Erträge waren von einer niedrigen Volatilität (Maß für die Schwankungsfreudigkeit von Wertpapieren, Anm.) begleitet. Das hat sich umgekehrt: Die Wertpapierklassen preisen eine moderate Erholung in den Industriestaaten ein. Es gilt: niedrige erwartete Erträge bei erhöhten Schwankungen.
Finanzmärkte haben sich stabilisiert
Immerhin: Die Finanzmärkte haben sich nach dem Einbruch Anfang der letzten Woche stabilisiert. Die Zinsaufschläge für das Kredit- und Liquiditätsrisiko am Geld und Kapitalmarkt sind etwas gesunken und die Aktienkurse sowie die eingepreisten Inflationsraten etwas angestiegen.
Denn die beiden Auslöser für die jüngsten Kursrückgänge
- die Abwertung der chinesischen Währung gegenüber dem US-Dollar und
- die Erwartung von Leitzinsanhebungen in den USA in diesem Jahr
haben sich beruhigt. Die chinesische Zentralbank hat auf die Marktturbulenzen reagiert und die chinesische Währung bei der Festlegung des Fixings (einmal pro Tag offiziell festgelegter Wechselkurs, Anm.) leicht gegenüber dem US-Dollar gefestigt. Zudem befindet sich der tatsächliche Wechselkurs nicht mehr über sondern unter dem Fixing. In den USA hat die Fed mit vorsichtigen Aussagen die Märkte beruhigt. Die Gründe für eine Leitzinsanhebung seien nicht mehr so überzeugend.
Fed-Zinserhöhung nicht vom Tisch
Allerdings: Die chinesische Währung könnte sich in den kommenden Monaten weiter abschwächen. Zudem sind die US-spezifischen Gründe für eine Leitzinsanhebung unverändert vorhanden (Verbesserung am Arbeitsmarkt, Wachstum über dem Potenzial, Inflationsziel wird langfristig erreicht). Auch von der Europäischen Zentralbank wurden in der vergangenen Woche „dovishe Signale“ (Signale, die auf alles andere als eine straffere Geldpolitik hinweisen, Anm.) ausgesendet. Das Anleiheankaufsprogramm könne in Umfang, Zeit und Zusammensetzung geändert werden. Die Ziele Marktberuhigung und abermalige Abschwächung des Euro wurden erreicht. Für eine tatsächliche Änderung der Geldpolitik müsste viel mehr passieren.
Verschlechterung des Umfeldes in den Schwellenländern
Was bleibt, ist eine Verschlechterung des Umfeldes in den Schwellenländern: Höhere Zinsen, fallende Währungen, eine hoher Schuldenstand im privaten Sektor, schwaches Wirtschaftswachstum, eine niedrige Preissetzungsmacht der Unternehmen und fallende Rohstoffpreise. Ähnlich wie eine Leitzinsanhebung wird sich die Verschlechterung des Umfeldes erst mit einer Zeitverzögerung auf die Volkswirtschaften in den Schwellenländern auswirken.
Keine Korrektur in den Industriestaaten
Die Wirtschaftsindikatoren in den Industriestaaten deuten auf eine Fortsetzung der moderaten wirtschaftlichen Erholung hin. Sowohl die USA als auch die Eurozone befinden sich mit einem Wachstum im 1. Halbjahr von 2,1% bzw. 1,4% (auf das Jahr hochgerechnet) auf einem Erholungspfad, der sich jeweils etwa 0,4 Prozentpunkte über dem Potenzialwachstum befindet (Quelle: Bloomberg). Weil sich das wirtschaftliche Umfeld in den Industriestaaten nicht verschlechtert hat, waren die Kurseinbrüche in den Industriestaaten keine wirkliche Korrektur, sondern können mit einer generellen Risikoreduktion erklärt werden.
Aussichten für die Industriestaaten
Wie stark sind die Überwälzungseffekte von den Schwellenländern auf die Industriestaaten? Hierbei sind vor allem zwei Wirkungskanäle relevant:
- Die Schwellenländer exportieren einen deflationären Druck in die Industriestaaten
- Die Schwellenländern exportieren eine Verschlechterung des Finanzumfeldes (der Financial Conditions) in die Industriestaaten. Es bleibt abzuwarten, ob sich die wirtschaftlichen Aussichten in den Industriestaaten tatsächlich verschlechtern.
Positionierung
Dieses Umfeld erfordert eine vorsichtig positive Haltung gegenüber den Risikoklassen in den Industriestaaten, generell hohe Cash-Quoten, eine „Absicherung“ der Deflationsrisiken mit kreditrisikolosen Staatsanleihen und eine möglichst geringe Position von Schwellenländern.