Das Wirtschaftswachstum in der Eurozone befindet sich in einem klaren Aufwärtstrend. Gleichzeitig ist das Gespenst fallender Löhne und Preise vorerst von der Bildfläche verschwunden. Auch die Befürchtungen hinsichtlich eines Auseinanderfallens der Europäischen Union haben abgenommen. Vor diesem Hintergrund hat im Rahmen der Pressekonferenz der Europäischen Zentralbank (EZB) am 27. April EZB-Präsident Draghi wie schon im Vormonat eine etwas optimistischere Wachstumseinschätzung abgegeben. Das ist ein weiterer Trippelschritt, der eine mögliche Reduktion der geldpolitischen Unterstützung auf mittlere Sicht anzeigt.
Solide Konjunktur
Zahlreiche Wirtschaftsindikatoren deuten auf eine weitere Beschleunigung des realen Wirtschaftswachstums in der Eurozone hin. Beispielhaft hat der von der Europäischen Kommission veröffentlichte Geschäftsklimaindex im April den höchsten Wert seit sechs Jahren erreicht. Nach 2% im vierten Quartal 2016 könnte sich das Wachstum im ersten Quartal auf 2,3% und im zweiten Quartal auf 2,5% beschleunigen. Dennoch bezeichnet die EZB die Wirtschaftsrisiken als nach unten gerichtet. Aufgrund der soliden zyklischen Entwicklung haben die Risiken aber weiter abgenommen. Das heißt, die nach oben und die nach unten gerichteten Risiken bewegen sich in Richtung ausgeglichenes Verhältnis. Zudem sind die Risiken vor allem externer Natur.
Änderung der Forward Guidance
Damit hat die EZB die Forward Guidance, also die Leitung der Erwartungen für die Einschätzung der zukünftigen Geldpolitik, in einer sehr leichten Weise geändert. Der nächste Schritt ist wahrscheinlich die Bezeichnung der Wirtschaftsrisiken als ausgeglichen. Wichtiger als die Einschätzung des Wirtschaftswachstums ist allerdings jene für die Inflationsentwicklung.
Vier Inflationskriterien
Mr. Draghi verwendet vier Kriterien für die Einschätzung, ob die aktuell zu niedrige Inflation im Einklang mit dem Ziel der Preisstabilität (Inflation von knapp unter 2%) ist.
- Anhaltend: Die Beschleunigung der Inflation in den vergangenen Monaten war ja getrieben von dem temporären Preisauftrieb in den Bereichen Energie und Nahrungsmittel.
- Selbsttragend: Auch ohne geldpolitische Unterstützung muss die Inflation auf dem Zielwert bleiben können.
- Gesamt: Das Inflationsziel betrifft den Durschnitt der Eurozone und nicht jedes einzelne Land.
- Mittelfristig: Das inflationsziel gilt für die mittlere Sicht und nicht von Jahr zu Jahr.
Bei keinem dieser Kriterien hat es zuletzt Fortschritte gegeben. Im März betrug die zugrundeliegende Inflation (Kerninflation) lediglich 0,7% im Jahresabstand. Immerhin: die Risiken für eine Deflation haben abgenommen. Das ist der Hauptgrund für die Reduktion des Anleiheankaufsprogramms von monatlich EUR 80 Milliarden auf EUR 60 Milliarden im April.
Schlussfolgerung
- Die solide konjunkturelle Entwicklung, die niedrige Inflation und die sehr wirtschaftsunterstützende Geldpolitik sind positiv für risikobehaftete Wertpapierklassen.
- Ebenso sind mit den gefallenen Ausreißerrisiken (Tail-Risks) für eine Deflation und für ein Auseinanderfallen der Europäischen Union (Frankreich-Wahl) wichtige Hürden genommen worden.
- Die EZB hat eine geringfügige Änderung in der Forward Guidance vorgenommen. Für den Kapitalmarkt ist das unmittelbar nicht von Bedeutung. Aber mehrere Trippelschritte werden schlussendlich doch eine relevante Änderung bedeuten.
- Unser wahrscheinlichstes Szenario: Schrittweise Reduktion des Anleiheankaufsprogramms, jeweils mit offenem Ausgang („Weitere Reduktion von x auf y, bis zum Monat / Jahr, oder länger wenn nötig“).