Anmerkung der Red.: Wir haben diesen Artikel am 27.03 upgedatet, um neue Entwicklungen abzubilden.
Die Fondsmanager, Researcher und Volkswirte der Erste Asset Management haben die wichtigsten Fragen zum Coronavirus und die Auswirkung auf die Märkte zusammengetragen und beantwortet.
Was bedeutet die Ausbreitung des Coronavirus für die Weltwirtschaft?
Die Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus führen zu einem deutlich Einbruch der wirtschaftlichen Aktivität. Die Schätzungen über das Ausmaß variieren zwischen 10% und 35% im Vergleich zum Normalzustand vor. Teile vom Bruttoinlandsprodukt verschwinden, weil Theater, Museen, Restaurants, Reisebüros und Hotels geschlossen haben und es Ausgangsbeschränkungen gibt. Zudem werden die Lieferketten deutlich gestört. Deshalb finden viel weniger wirtschaftliche Transaktionen statt.
Unmittelbar drohen Liquiditätsengpässe für Unternehmen und Arbeitsnehmer, weil die fixen Kosten zu bedienen sind, während in manchen Sektoren die Umsätze und die Einkommen wegbrechen. Das heißt, das Risiko besteht in einem Anstieg der Arbeitslosenraten sowie der Unternehmenskonkurse und in einem Absinken der Unternehmensgewinne sowie der Konsumentenpreisinflation in den negativen Bereich (Deflation). Im Basisszenario veranschlagen wir eine deutliche Schrumpfung des globalen Bruttoinlandsproduktes sowohl im ersten als auch im zweiten Quartal.
Warum sind die Wertpapierkurse so drastisch gefallen?
Seit einigen Wochen findet eine Umschichtung in „sichere Häfen“ statt. Das bedeutet, dass Wertpapierklassen mit einer hohen Abhängigkeit zum Wirtschaftswachstum wie etwa Aktien unter Druck gekommen sind. Der Fokus der Investoren lag nicht auf dem langfristigen Ertragspotential, sondern auf dem vergleichsweise geringen Risiko von Staatsanleihen beziehungsweise sogar der hohen Liquidität von einer Kassahaltung. Weil auf globaler Ebene viele Investoren gleichzeitig „flüchteten“, wurde der Kursrückgang bei den Aktien und Unternehmensanleihen mit einer niedrigen Kreditqualität nochmals verstärkt.
Warum konnten Portfoliomanager nicht schon vorzeitig agieren?
Die Weltwirtschaft und die Finanzmärkte sind mit einem externen Schock konfrontiert, der naturgemäß nicht vorhersagbar war. Das Besondere an der Coronakrise ist zudem die hohe Geschwindigkeit der Entwicklung.
Der dahinterliegende Taktgeber ist die exponentielle Entwicklung der Neuinfektionen und die Antwort der Gesundheitspolitik darauf: Runterfahren des öffentlichen Lebens und der Wirtschaft. Beinahe wöchentlich wurden die Einschätzungen für die wirtschaftliche Aktivität für das heurige Jahr nach unten revidiert.
Warum sind die Aktienkurse Ende März angestiegen?
Die Anzeichen für eine Bodenbildung auf den Märkten haben etwas zugenommen. Dafür gibt es zwei Gründe: Erstens die Erwartung, dass Ausgangsbeschränkungen nur für eine überschaubare Zeit gelten werden (ein bis zwei Monate).
Zweitens die sehr großen Unterstützungspakte der Zentralbanken und der Regierungen. In den Kursanstiegen kann also die Erwartung einer V-förmigen Entwicklung des Wirtschaftswachstums abgelesen werden: Einem scharfen aber kurzen Einbruch folgt eine deutliche Erholung.
Welche Maßnahmen setzten Regierungen und Institutionen wie die FED oder die EZB?
Regierungen haben durch mehrere Maßnahmen bereits eingegriffen. Welche stehen ihnen genau zu Verfügung?
- Regierungen können mit Maßnahmen dazu beitragen, die Ausbreitung des Virus möglichst zu behindern. Viele dieser Maßnahmen, wie etwa die Quarantäne in China und Italien sind natürlich extrem störend für das gesellschaftliche Miteinander oder die Wirtschaft. Das ist aber in der aktuellen Situation das kleinere Übel.
- Darüber hinaus können Regierungen auch dafür sorgen, dass diejenigen, die gesundheitliche Versorgung brauchen diese auch in ausreichendem Maße erhalten. Das trägt auch dazu bei, die direkten wirtschaftlichen Folgen der Krise zu reduzieren.
- Eine wichtige Aufgabe von Regierungen in diesen Tagen ist es natürlich auch, die Öffentlichkeit transparent über Risiken und Gefahren zu Covid-19 zu informieren. Dazu gehört auch die schnelle Weitergabe von Informationen über nationale Grenzen hinweg. Nur so können sich Länder rechtzeitig auf das Virus vorbereiten und geeignete Maßnahmen treffen. Wichtig in diesem Zusammenhang ist auch der Austausch von Forschungsergebnissen, damit möglichst schnell ein wirksames Protokoll für die Eindämmung des Virus entwickelt werden kann. Im besten Fall könnte das dann auch zur Entwicklung eines Impfstoffes führen.
Neben diesen Covid-19 bezogenen Maßnahmen stehen die Regierungen bzw. die Zentralbanken in diesen Situationen natürlich auch mit ihren traditionellen fiskal- bzw. geldpolitischen Instrumenten Gewehr bei Fuß.
- Aufgabe der Zentralbanken wird es sein, die Wirtschaft mit ausreichend Liquidität zu versorgen, damit es zu keinen vermeidbaren Konkursen kommt. Insbesondere wenn die zuvor zitierten volkswirtschaftlichen Annahmen sich bewahrheiten, macht diese Strategie Sinn.
- Für die klassische Fiskalpolitik wird es in dieser Situation natürlich schwierig. Bauvorhaben, die Jahre für ihre Verwirklichung brauchen, werden in den nächsten Wochen nicht halten. Maßnahmen wie Kurzarbeit, die helfen, sehr schnell wieder auf die Wachstumsspur einzubiegen können hier helfen. Dazu kommt natürlich alles, was hilft, die gesundheitlichen Konsequenzen des Covid-19 zu bekämpfen.
- Jedenfalls muss man sagen, dass sowohl Regierungen als auch Zentralbanken den Ernst der Lage sehr klar sehen und nichts unversucht lassen werden, um hier mit geeigneten Mitteln zu helfen.
Werden die Unterstützungsmaßnahmen ausreichen?
Das hängt von der Länge der Eindämmungsmaßnahmen ab. Je länger und je restriktiver die Eindämmungsmaßnahmen, desto größer der wirtschaftliche Schaden und desto umfangreicher die Hilfspakete.
Bedeuten die Maßnahmen der Zentralbanken für die Zukunft ein Inflationsproblem?
Die unterstützenden Maßnahmen der Zentralbanken wirken tatsächlich inflationär. Das heißt, die Zentralbankpolitik ist prinzipell auf einen Anstieg der Preise ausgerichtet. Im aktuellen Kontext bedeute das allerdings die Bekämpfung eines Deflationsrisikos.
Bei einer Deflation geht es um einen anhaltenden, breit angelegten Rückgang der Preise und Löhne. Eine erhöhte Inflation würde erst dann entstehen, wenn die aktuelle Krise vorbei ist, die wirtschaftliche Aktivität zur Normalität zurückfindet und gleichzeitig der monetäre Stimulus beibehalten wird. Eine zu hohe Inflation ist also möglicherweise erst das nächste Problem, nachdem das aktuelle Deflations-Problem gelöst worden ist.
Stellt der zu erwartende Anstieg der Staatsschulden ein Problem dar?
Die Finanzminister schnüren in der Tat gewaltige Hilfsbudgets. Die Neuverschuldung und die Gesamtverschuldung der Staaten werden deutlich ansteigen. Vor die Wahl gestellt zwischen einem sprunghaften Anstieg der Arbeitslosigkeit und höherer Verschuldung wählen die Regierungen (so gut wie) immer die zweite Alternative.
Eine Konsolidierung der Staatsfinanzen nach der aktuellen Krise wird schwierig sein. Denn die Herausforderungen, die der Klimawandel darstellt bedeuten die Notwendigkeit von anhaltend hohen Staatsausgaben auf absehbare Zeit. Generell gilt: solange das Zinsniveau unter dem Wirtschaftswachstum bleibt, stellt die Staatsschuldendynamik kein besonderes Problem dar.
Warum sollte Unternehmen, Banken und dem Kapitalmarkt überhaupt geholfen werden?
Hierbei geht es nicht darum, die Aktienkurse und den Shareholder Value zu befördern sondern das Funktionieren der Volkswirtschaft zu gewährleisten. Es soll ein Anstieg der Arbeitslosenraten, eine Konkurswelle, eine Kreditbremse (Banken gewähren keine Kredite mehr) und die Unterbrechung von Lieferketten verhindert werden.
Zudem soll sichergestellt werden, dass der Übergang zum Normalbetrieb möglichst reibungslos beziehungsweise schnell erfolgt, sobald die Ausgangsbeschränkungen aufgehoben werden. Da ist es hilfreich, wenn dann die Unternehmen noch existieren, der Kapitalmarkt noch funktioniert und die Leute noch in Beschäftigung sind.
Welche Veranlagungsstrategie ist am erfolgversprechendsten?
Das aktuelle Umfeld ist außergewöhnlich. Es stellt die vergangenen Krisen seit dem zweiten Weltkrieg in den Schatten. Die Unabwägbarkeiten sind groß. Im Prinzip geht um zwei Fragen:
1) Wie lange dauern die Eindämmungsmaßnahmen?
2) Sind die Unterstützungsmaßnahmen der Wirtschaftspolitik stark genug, um mögliche sogenannte Sekundärrundeneffekte aufzufangen?
Um einen Blick in die Zukunft zu wagen, empfiehlt es sich, Szenarien zu entwerfen.
- Szenario 1: Nach dem scharfen Einbruch im ersten Halbjahr, kommt es zu einer wirtschaftlichen Erholung im zweiten Halbjahr. Die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus werden zurückgefahren und jene zur Eindämmung der Sekundärrundeneffekte sind erfolgreich. Das Wirtschaftswachstum weist im Zeitablauf die Form eines „V“ auf. In diesem Fall sind für eine Veranlagung Aktien der Favorit.
- Szenario 2: Die Wirtschaft erholt sich nur langsam, weil die wirtschaftspolitischen Maßnahmen nur eingeschränkt helfen. Die Stimmung bleibt gedämpft und drückt auf Investitionen, Konsum und den Arbeitsmarkt. Die einsetzende Erholung im 2. Halbjahr zieht sich bis ins nächste Jahr. Man spricht vom Szenario „U“, weil der Einbruch keine Schlucht sondern ein Tal darstellt. Dieses Szenario spricht für ein gemischtes (breit gestreutes) Portfolio.
- Szenario 3: Auf absehbare Zeit findet keine Erholung statt. Die Eindämmungsmaßnahmen könnten länger als gedacht anhalten und die Unterstützungsmaßnahmen könnten nicht effektiv genug sein. Man spricht vom Szenario „L“. Dieses Umfeld spricht für möglichst kreditsichere Veranlagungen (Staatsanleihen).
Wird es permanente Folgen der Coronakrise geben?
Die möglichen Langfristfolgen sind vielfältig. Auf der politischen Ebene könnte das Verhältnis zwischen Gesundheit auf der einen Seite und Wohlstand / Privatsphäre / Demokratie neu definiert werden. Dasselbe gilt für das Verhältnis zwischen internationaler Solidarität und nationalen Eigeninteressen. Denn die Auswirkungen von COVID-19 werden in einigen wichtigen Schwellenländern wie Brasilien, Indien, der Türkei und Ägypten wahrscheinlich schlimmer ausfallen als in der westlichen Welt.
Wie für die Veranlagungsstrategie sollen Szenarien für mögliche Langfristfolgen aufgestellt werden:
- Szenario 0. Die Gesellschafft lernt mit immer größeren Krisen umzugehen, ebenso wie der Finanzmarkt. Keine permanenten Auswirkungen.
- Szenario 1. Säkulare Stagnation: Nach der wirtschaftlichen Erholung bleibt das Wirtschaftswachstum mager, ebenso wie die Inflation. Das globale Zinsniveau konvergiert gegen null Prozent.
- Szenario 2. Inflation: Die Unterstützungsmaßnahmen werden nicht rechtzeitig zurückgenommen. Die Wirtschaft überhitzt. Es entsteht Inflation. Das Zinsniveau steigt erst mit Zeitverzögerung an, weil Zentralbanken und Behörden versuchen, selbiges niedrig zu halten.
- Szenario 3. Realverzinsung: So eigenartig das klingen mag: Bis jetzt hat es zu wenig Staatsschulden gegeben. Zumindest im Vergleich zur Nachfrage nach Staatsanleihen. Diese hohe Nachfrage nach Staatsanleihen ist der Hauptgrund für das seit Jahren außerordentlich niedrige Zinsniveau. Der rasante Anstieg der Staatsverschuldung könnte das ändern. Im diesem Szenario steigen die Zinsen an, obwohl die Inflation niedrig bleibt. Das heißt, die um die Inflation bereinigte Verzinsung (der reale Zinssatz) nimmt zu.
Nach einer Krise ändern sich oftmals die treibenden Faktoren für die guten und die schlechten Investments. Einer der wichtigsten bestimmenden Faktoren für den Finanzmarkt in den vergangenen Jahrzehnten war das fallende Zinsniveau. Das ist nun (so gut wie) vorbei.
Wie geht es weiter und wie stellt man ein Wertpapier Portfolio in dieser Lage auf?
Wie bei jedem plötzlichen Kursrückgang ist es für Investoren wichtig, die langfristige Perspektive nicht aus den Augen zu verlieren. Weiters sollte man Risiken durch eine Diversifikation nach Anlageklassen oder Länder und Regionen abfedern. Dies gilt sowohl durch Investments in aktiv gesteuerte Aktien-, Renten als auch Multi Asset Fonds. Auch in den letzten Wochen zeigten sich die Vorteile der Diversifikation deutlich:
- Diversifikation nach Anlageklassen: mussten Aktien Verluste hinnehmen, konnte man in einem Multi Asset Fonds von den Preissteigerungen bei kreditsicheren Staatsanleihen aus den USA und Europa profitieren. Auch eine Beimischung von Gold, wie wir sie in unseren Multi Asset Fonds und Vermögensverwaltungsdepots halten, lieferte einen positiven Beitrag.
Wie ist die Erste AM gerade aufgestellt?
In unseren Multi Asset Fonds und Vermögensverwaltungs-Portfolien setzen wir auf eine breit gestreute Veranlagungsstrategie. Darüber hinaus haben wir bereits Ende Februar unsere Positionierung defensiver gestaltet. So haben wir die Aktienquote zurückgefahren und im Gegenzug Staatsanleihen aus den USA und Europa aufgestockt.
In unseren Aktienfonds liegt der Fokus auf Qualität und Wachstum. Wir sind in den entwickelten Märkten die besonders negativ betroffenen Sektoren tendenziell geringer gewichtet und schichteten in den Schwellenländerfonds beispielsweise in Unternehmen aus dem Pharmabereich oder zu Hersteller von medizinischen Hilfsgütern um.
Unser Dossier zum Thema Coronavirus: https://blog.de.erste-am.com/dossier/coronavirus/
Wichtige rechtliche Hinweise:
Prognosen sind kein zuverlässiger Indikator für künftige Entwicklungen.
Sehr geehrter Herr Cinar!
Wäre es vernünftig, bei meinen Geld-Veranlagungen etwas zu ändern?
Mit freundlichen Grüßen,
Ingrid Menth